Bewusster Social-Media-Konsum in Krisenzeiten

Stell Dir vor: Es ist etwas Schlimmes passiert und Du scrollst auf der Suche nach immer neuen Meldungen immer weiter durch die endlosen Social-Media-Feeds. Egal wie sehr Dich die Schreckensnachrichten herunterziehen, Du kannst das Handy einfach nicht zur Seite legen. Klingt bekannt? Damit bist Du nicht allein. Gerade in Krisenzeiten ist das sogenannte “Doomscrolling” ein verbreitetes Phänomen. Unter Doomscrolling versteht man wortwörtlich eine Art suchtähnliches “Scrollen bis zum Verderben” - wir informieren uns zwanghaft immer weiter, auch wenn es uns nicht gut tut.

Die Corona-Pandemie ist ein Paradebeispiel dafür: Im Durchschnitt stieg die Social-Media-Nutzung um 61 Prozent, das Surfen im Internet sogar um 71 Prozent.1 Besonders stark war der Anstieg bei den unter 35-Jährigen.

Gründe für Doomscrolling

Aber warum sind wir in Krisensituationen so anfällig für Doomscrolling? Zunächst versuchen wir, durch einen steigenden Nachrichtenkonsum die Lage zu überblicken und geraten dabei in einen Teufelskreis, aus dem wir nicht mehr so einfach herauskommen. Die Journalistin Ronja Wurm-Seibel beschreibt dies als „Angst-Nachrichten-noch-mehr-Angst-noch-mehr-Nachrichten-noch-viel-mehr-Angst-Spirale“.2 Während manche in Corona-Zeiten Toilettenpapier und Nudeln gehamstert haben, versuchen andere durch exzessives Informieren ein Gefühl der Kontrolle und Sicherheit aufrechtzuerhalten – aber vergeblich. Stattdessen geraten wir immer tiefer in den Strudel aus schlechten Nachrichten.

Denn: Während jede TV-Sendung ein Ende hat, ist Social Media eher eine Endlosspirale. Wir können endlos weiter scrollen und merken oft gar nicht, wie viel Zeit dabei vergeht. Noch dazu sind soziale Medien und Nachrichtenseiten voller schlechter Nachrichten. Auf der einen Seite schreiben Algorithmen und Apps negativen Inhalten ein höheres Interesse zu, auf der anderen Seite ist das menschliche Gehirn von Natur aus empfänglicher für Negatives als für angenehme Nachrichten. Dieser “negativity bias” ist eigentlich evolutionär bedingt und sollte uns in der Steinzeit wachsamer für Gefahren machen. Heutzutage retten schlechte Nachrichten jedoch weniger unser Leben, sie schaden uns eher.

Welche Folgen hat Doomscrolling?

Konsumieren wir besonders viele schlechte Nachrichten, werden Stresshormone wie Adrenalin oder Cortisol freigesetzt und unser Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Studien zeigen: Schon zwei bis vier Minuten lang negative Nachrichten zu konsumieren, sorgt nachweislich für eine düsterere Weltsicht.3 Forschende der Berliner Charité haben herausgefunden, dass Nachrichten aus sozialen Medien besonders starke emotionale Folgen haben. Ein möglicher Grund: Auf Social Media prasseln die Nachrichten fast ungefiltert auf uns ein und dort wird häufig sehr emotional kommuniziert.4 Die Folgen: Erschöpfung, Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Abgestumpftheit bis hin zu Dauerstress und Burnout. Die Überforderung kann auch körperliche Reaktionen wie Übelkeit oder Herzrasen hervorrufen.

Tipps & Tricks für bewussten Nachrichtenkonsum in Krisen

Um das zu verhindern, gibt es verschiedene Ansätze. Ein erster Schritt ist es, sich des eigenen Konsums bewusst zu werden. Frage Dich: Wie oft checke ich täglich wirklich die News? Du musst Deinen Medienkonsum nicht vollkommen einstellen. Das Ziel ist eher, eine gesunde Balance zu finden. Dabei können Apps helfen, die die Nutzungsdauer von Social-Media-Plattformen begrenzen, oder Du legst dein Handy vor dem Schlafen in eine andere Zimmerecke. So beendest und beginnst Du den Tag nicht mit schlechten Nachrichten. Ebenfalls sinnvoll: Feste Uhrzeiten und Zeitspannen festzulegen, in denen Du Dich gezielt informierst. Dazwischen bleiben Push-Benachrichtungen & Co. ausgeschaltet! 

Um aus dem Gefühl der Hilflosigkeit zu auszubrechen, kann es auch helfen, aktiv zu werden. Du kannst beispielsweise spenden, eine Demonstration organisieren oder besuchen und ganz wichtig: mit anderen darüber sprechen! Ob mit Freund:innen oder Familie – Gespräche im “echten” Leben sind ein wertvolles Gegengewicht zum digitalen Raum. Alternativ sind auch Anlaufstellen wie „Nummer gegen Kummer“ oder der „Krisenchat" eine gute Option. Die Krise verschwindet zwar nicht allein durchs darüber Reden, aber die Last wird vielleicht ein wenig leichter.

Quellen

  1. Kantar (2020). COVID-19 Barometer: Consumer attitudes, media habits and expectations. https://www.kantar.com/Inspiration/Coronavirus/COVID-19-Barometer-Consumer-attitudes-media-habits-and-expectations
  2. Franzen, J. (2022, 1. April). Tyrannei der Aktualität. taz.de. https://taz.de/Doomscrolling-in-Krisenzeiten/!5842964/
  3. Buchanan, K., Aknin, L. B., Lotun, S., & Sandstrom, G. M. (2021). Brief exposure to social media during the COVID-19 pandemic: Doom-scrolling has negative emotional consequences, but kindness-scrolling does not. Plos one, 16(10), e0257728. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0257728 
  4. Bendau, A., Petzold, M. B., Pyrkosch, L., Mascarell Maricic, L., Betzler, F., Rogoll, J., ... & Plag, J. (2021). Associations between COVID-19 related media consumption and symptoms of anxiety, depression and COVID-19 related fear in the general population in Germany. European archives of psychiatry and clinical neuroscience, 271, 283-291. https://doi.org/10.1007/s00406-020-01171-6 
Datum
3. März 2023